Was bringt TherapeutInnen dazu, KIM einzusetzen?
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Integrative Medizin
Gerade bei psychischen Erkrankungen ergibt ein ganzheitlicher Ansatz, der auch komplementärmedizinische Verfahren integriert, Sinn. (2-4) Dennoch werden solche Verfahren von Behandelnden unterschiedlich stark in Betracht gezogen. (5-7) Woran mag das liegen? Eine Schweizer Studie (1) identifizierte nun Prädiktoren für die Absicht, KIM in psychiatrischen Kliniken einzusetzen.
KIM steht für komplementäre und integrative Medizin. Sie ist eine Vielfalt an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen jenseits der herkömmlichen medizinischen Ausbildung, etwa Mind-Body-Techniken, Naturprodukte, Massagetechniken, Bewegungsübungen und traditionelle Medizin.
Die Studie unterstreicht zum einen die Wichtigkeit der institutionellen Umgebung für eine erfolgreiche Integration von KIM in psychiatrischen Einrichtungen – die Wichtigkeit der Überzeugung von Mitarbeitenden und vor allem auch der Führungspersönlichkeiten. Hierfür ist allerdings – andererseits – auch ausreichend Wissen über Verfahren und Anwendung der KIM nötig und über die Studienlage. Noch immer werden aktuelle Forschungsergebnisse nicht überall zur Kenntnis genommen, noch immer ist bereits die Definition von KIM nicht einheitlich (Was genau gehört zu KIM, was nicht? Was bedeutet eigentlich “konventionelle” Medizin?) und noch immer werden Begrifflichkeiten verschieden verwendet (Komplementärmedizin, Alternativmedizin, Integrative Medizin sind nicht dasselbe).
Hierzu wurde ein Fragebogen entwickelt, der psychosoziale und demographische Einflüsse auf die Entscheidung für KIM erfassen soll. Definiert wurde KIM darin als eine Vielfalt an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen jenseits der herkömmlichen medizinischen Ausbildung, etwa Mind-Body-Techniken, Naturprodukte, Massagetechniken, Bewegungsübungen und traditionelle Medizin.
Insgesamt 4111 Menschen, die in psychiatrischen Einrichtungen in der französisch-sprachigen Schweiz arbeiten, wurden gebeten, an der Online-Befragung teilzunehmen. Mittels 5- und 7-Punkte-Skalen sollte Stellung genommen werden zu wahrgenommenen gesellschaftlichen Normen, KIM erleichternde Bedingungen, wahrgenommenen Auswirkungen auf die PatientInnen sowie auf die Belegschaft, deskriptiven Normen, strukturellen förderlichen Bedingungen, Affekt und persönlichen normativen Überzeugungen. Ebenso wurde das vergangene Verhalten abgefragt. Aus den gesammelten Antworten konnte dann ein „Absichts-Score“ zum Einsatz von KIM gebildet werden.
Ergebnisse
1561 Menschen beantworteten den Fragebogen, was einer Rücklaufquote von 38% entspricht. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei 41,3 Jahren, die meisten waren Frauen (69,3%). 51% waren Krankenschwestern oder -pfleger, 20,7% Ärztinnen und Ärzte, 13,8% PsychologInnen, 3,9% paramedizinisches Personal wie Physio- und ErgotherapeutInnen, 3,4% GesundheitshelferInnen und 7,2% andere, darunter SozialarbeiterInnen, sozio-edukative BetreuerInnen und SpezialistInnen in spezifischen Therapien wie z.B. Kunsttherapie. Im Durchschnitt hatten die Teilnehmenden 14,1 Jahre klinische Erfahrung. 61,6% hatten bereits KIM in ihrer klinischen Tätigkeit eingesetzt und 37,8% hatten eine formelle Ausbildung in KIM. 73,2% nutzten KIM sogar persönlich und/oder für Angehörige.
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Dazu erweisen sich ebenfalls drei soziodemographische Faktoren als signifikant: Alter – ein höheres Alter begünstigt die Absicht, KIM einzusetzen; Jahre der klinischen Erfahrung – weniger Erfahrung erhöht die Bereitschaft für KIM; und Position – Menschen in Führungspositionen tendieren eher dazu, KIM einzusetzen. Als mögliche Erklärungen hierfür wird diskutiert, dass ein höheres Alter mit einer stärkeren therapeutischen Flexibilität einhergehen könnte, dass TherapeutInnen mit weniger klinischer Erfahrung auch weniger Kenntnis von KIM und der Studienlage haben könnten und dass Führungspersönlichkeiten in KIM eine Möglichkeit zur Reduzierung von Behandlungskosten sehen könnten.
Einschätzung
Die Studie unterstreicht zum einen die Wichtigkeit der institutionellen Umgebung für eine erfolgreiche Integration von KIM in psychiatrischen Einrichtungen – die Wichtigkeit der Überzeugung von Mitarbeitenden und vor allem auch der Führungspersönlichkeiten. Hierfür ist allerdings – andererseits – auch ausreichend Wissen über Verfahren und Anwendung der KIM nötig und über die Studienlage. Noch immer werden aktuelle Forschungsergebnisse nicht überall zur Kenntnis genommen, noch immer ist bereits die Definition von KIM nicht einheitlich (Was genau gehört zu KIM, was nicht? Was bedeutet eigentlich “konventionelle” Medizin?) und noch immer werden Begrifflichkeiten verschieden verwendet (Komplementärmedizin, Alternativmedizin, Integrative Medizin sind nicht dasselbe).
Hier wird eine Schwäche der Arbeit deutlich, nämlich eine mögliche Voreingenommenheit der Stichprobe: 61,6% der Teilnehmenden hatten KIM bereits in ihrer klinischen Tätigkeit eingesetzt – diese große Mehrheit wird KIM demnach von vornherein positiv gegenüber eingestellt sein. Die erarbeiteten Prädiktoren werden zudem auf viele Themen, nicht nur spezifisch auf KIM, anwendbar sein.
Literatur zu "Was bringt TherapeutInnen dazu, KIM einzusetzen?"
1) Schaub C, Faouzi M, Vonlanthen J, Cordey M, Marchand P, Stantzos A, Berna C, Alexandre K. Predictors of the intention to use integrative medicine in psychiatric hospitals. Integr Med Res. 2025 Sep;14(3):101179. doi: 10.1016/j.imr.2025.101179. Epub 2025 Jun 14. PMID: 40777851; PMCID: PMC12328694. Link
2) Ee C., Lake J., Firth J., Hargraves F., de Manincor M., Meade T., et al. An integrative collaborative care model for people with mental illness and physical comorbidities. Int J Ment Health Syst. 2020;14(1):83. doi: 10.1186/s13033-020-00410-6. Link
3) Lake J., Turner M.S. Urgent need for improved mental health care and a more collaborative model of care. Perm J. 2017;21:17–024. doi: 10.7812/TPP/17-024. Link
4) Metri N.J., Ee C., Wardle J., Ng C.H., Siskind D., Brakoulias V., et al. Assessing dietary, exercise, and non-pharmacological modalities within psychiatric hospitals. Gen Hosp Psychiatry. 2022;76:31–35. doi: 10.1016/j.genhosppsych.2022.03.006. Link
5) Olsson A., Hedlund S., Landgren K. To use or not use complementary and alternative medicine (CAM) in psychiatric care: interviews with clinical decision-makers in Sweden. Issues Ment Health Nurs. 2022;43(5):463–472. doi: 10.1080/01612840.2021.1986759. Link
6) Wemrell M., Olsson A., Landgren K. The Use of Complementary and Alternative Medicine (CAM) in Psychiatric Units in Sweden. Issues Ment Health Nurs. 2020;41(10):946–957. doi: 10.1080/01612840.2020.1744203. Link
7) Schaub C., Bigoni C., Baumeler Q., Faouzi M., Alexandre K. The influence of psychosocial factors on the intention to incorporate complementary and integrative medicine into psychiatric clinical practices. Complement Ther Clin Pr. 2021;44 doi: 10.1016/j.ctcp.2021.101413. Link


