Komplementäre und
Integrative Medizin
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Demenz: Carstens-Stiftung fördert 3 Forschungsansätze mit 900.000 EUR

Demenz: Carstens-Stiftung fördert 3 Forschungsansätze mit 900.000 EUR

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Demenz Integrative Medizin Wissenschaft

Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung stellt insgesamt 900.000 EUR für drei Projekte in der Demenz-Forschung bereit. Evaluiert werden Verfahren der Integrativen Medizin im Hinblick auf ihr Potenzial zur Prävention der Erkrankung und Verlangsamung ihres Fortschreitens sowie zur Belastungslinderung pflegender Angehöriger. Die Projekte sind angesiedelt an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Universitätsklinikum Tübingen und der Universitätsmedizin Essen.

Herausforderung: 153 Mio Demenz-Erkrankte bis 2050

Schon jetzt sind neurokognitive Erkrankungen die häufigsten Erkrankungen ab dem 60. Lebensjahr. Für die nächsten Jahrzehnte wird jedoch sogar mit einer Verdreifachung der Zahl der Menschen mit Demenz gerechnet. Schätzungen gehen bis zum Jahr 2050 von einem Anstieg der Fälle auf ca. 153 Millionen weltweit aus. Diese alarmierende Prognose verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf – zumal bislang keine kurativen pharmazeutischen Interventionen für Demenz existieren.

Prävention: Bessere Sauerstoffversorgung des Gehirns

Prof. Dr. Holger Cramer, Prof. Gerhard Eschweiler und Prof. Inga Krauß vom Universitätsklinikum Tübingen legen den Schwerpunkt daher auf die Prävention und setzen schon bei einer Vorstufe zur Demenz an, der leichten kognitiven Beeinträchtigung (engl. Mild Cognitive Impairment, MCI). Bei einer MCI zeigen sich z.B. erste Gedächtnisschwächen, allerdings noch ohne wesentliche Einschränkung des Alltags. Hier liegt ein kritisches Zeitfenster vor, denn bei einem größeren Anteil der Betroffenen entwickelt sich die MCI innerhalb von fünf Jahren zu einer Demenz. Die Wissenschaftler:innen des Tübinger Instituts für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und der Medizinischen Klinik/Abt. Sportmedizin planen eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie zur Wirkung von Yoga, High Intensity Interval Training (HIIT) und Intermittierender Hypoxie/Hyperoxie Exposition (IHHE) auf die kognitive Funktion.

Prof. Dr. rer. medic. Holger Cramer (Foto: Beate Armbruster, ©Universitätsklinikum Tübingen), Prof. Dr. med. Gerhard Eschweiler und Prof. rer. soc. Inga Krauß
Prof. Dr. rer. medic. Holger Cramer (Foto: Beate Armbruster, ©Universitätsklinikum Tübingen), Prof. Dr. med. Gerhard Eschweiler und Prof. rer. soc. Inga Krauß

Die moderne Hatha-Yoga-Praxis umfasst Körperhaltungen (Asanas), Atemtechniken (Pranayama) und Meditation (Dyana). Beim HIIT handelt es sich um eine besondere Form des Ausdauertrainings, bei der sich kurze hochintensive Belastungen, in diesem Falle auf einem Fahrradergometer, mit dazwischen-geschalteten Erholungsphasen abwechseln. Bei der IHHE wiederum werden die Patient:innen über eine Gesichtsmaske zyklisch verschiedenen Luftmischungen ausgesetzt, einer sauerstoffarmen Umgebung (Hypoxie) und einer sauerstoffreichen Umgebung (Hyperoxie). Gemeinsames Wirkprinzip der drei Interventionen, die jeweils über eine Dauer von 12 Wochen durchgeführt werden sollen, ist eine nachhaltige Verbesserung der Hirndurchblutung und der Mitochondrienfunktion durch Veränderungen des zerebralen Sauerstoffangebots. Insgesamt 100 Teilnehmer:innen mit MCI-Diagnose sollen in die Studie eingeschlossen werden, die Projektdauer ist auf zwei Jahre festgelegt.

Fortschreiten verlangsamen: körpereigene Reinigungsprozesse stärken

Eine weitere vielversprechende Maßnahme, die das Risiko einer Demenz verringern oder sogar den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen könnte, ist das Fasten. PD Dr. Julian Hellmann-Regen und sein Team an der Charité – Universitätsmedizin Berlin konzentrieren sich dabei spezifisch auf die Alzheimer-Erkrankung. Bei Alzheimer sammeln sich schädliche Proteinablagerungen, Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen, im Gehirn an. Fasten unterstützt den Körper bei der sog. Autophagie, einem Reinigungsprozess in dem die beschädigten Zellbestandteile abgebaut werden. Darüber hinaus stabilisiert Fasten den Glukosespiegel, erhöht die Insulinsensitivität, stärkt die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Stressachse (HPA-Achse) und kann helfen, Entzündungen zu reduzieren – Faktoren, die mit dem Entstehen und dem Fortschreiten von Alzheimer in Verbindung stehen.

PD Dr. med. Julian Hellmann-Regen
PD Dr. med. Julian Hellmann-Regen

PD Dr. Hellmann-Regen und Team planen daher eine randomisierte kontrollierte Studie mit 40 Patient:innen im Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung, die die Wirksamkeit eines 5-tägigen Saftfastens auf die Hirngesundheit untersucht. Der Fokus liegt dabei auf der Beeinflussung des biologischen Hirnalters (im Vergleich zum chronologischen Hirnalter) sowie der Stressverarbeitung. Die Proband:innen lösen hierzu unter MRT-Überwachung Rechenaufgaben. Zusätzlich sollen Blutuntersuchungen Aufschluss u.a. über das Plasma-Proteom, also den Einfluss des Fastens auf die Proteinzusammensetzung, geben. Mittels maschinellen Lernens werden die erfassten Biomarker miteinander in Beziehung gesetzt und ausgewertet. Um auch Schlüsse auf die Langzeit-Effektivität des Fastens bei Alzheimer zu ermöglichen, sieht die Studie eine Nachbeobachtung über sechs Monate vor. Die Ergebnisse des Projektes werden bis 2028 erwartet.

Ganzheitlich gedacht: Verringerung der Caregiver Burden

Die Progression von Demenz wird nicht nur von biologischen Faktoren beeinflusst, sondern auch von der Qualität der Pflege, die die Betroffenen erfahren. Die Bindung zu einem geliebten Menschen wirkt sich positiv aus. Angehörige von Demenzkranken stehen jedoch oft vor emotionalen, körperlichen, finanziellen und sozialen Herausforderungen, die zu einer enormen Stressbelastung, zu Erschöpfung und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Tatsächlich erfolgen Heimeinweisungen zu einem großen Prozentsatz nicht aufgrund objektiver Pflegebedürftigkeit der Patient:innen – sondern aufgrund von Überlastung der Angehörigen.

Dr. rer. medic. Heidemarie Haller
Dr. rer. medic. Heidemarie Haller

Das Team um Dr. Heidemarie Haller, Prof. Dr. Gustav Dobos, Univ.-Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz und Dr. Iris Trender-Gerhard der Universitätsmedizin Essen entwickeln aus diesem Grund ein Mind-Body-Programm zur Förderung der Gesundheitskompetenz und mentalen Gesundheit von Pflegepersonen. Ziel ist es, die Resilienz der Angehörigen zu stärken und ihre wahrgenommene Belastung, die sog. Caregiver Burden, zu reduzieren. Dabei werden Pflege- und Selbsthilfestrategien aus der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) sowie der achtsamkeitsbasierten Mind-Body-Medizin vermittelt: Massagetechniken an Hand und Fuß, schlaffördernde Wickel und Auflagen, sanfte Schröpfkopfmassage, Aromatherapie und Akupressur. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, das Nervensystem zu regulieren und ermöglichen eine Zuwendung, die über alltägliche Pflegeroutinen weit hinausgeht. Ergänzt um Yoga und craniosacrale Selbsthilfetechniken sollen sie den Pflegenden helfen, Stress abzubauen. In einer randomisiert-kontrollierten Studie wird dieses Konzept mit einer reinen Psychoedukation verglichen. Ein Vorteil des komplementärmedizinischen Konzepts könnte in seiner ausgeprägteren körperlichen Dimension und die damit verbundene, unmittelbare Erfahrung der Selbstwirksamkeit liegen. 140 Proband:innen, die Angehörige mit Demenz zuhause pflegen und eine mindestens mäßige Stress-Belastung aufweisen, werden die Intervention über sechs Monate durchführen, die Nachbeobachtungszeit beträgt 12 Monate. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt.

Projektbeteiligte

Prof. Dr. rer. medic. Holger Cramer
Professor für die Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren, Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung; Wissenschaftlicher Leiter, Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit, Bosch Health Campus, Stuttgart

Prof. Dr. med. Gerhard Eschweiler
Ärztlicher Leiter des Geriatrischen Zentrums am Universitätsklinikum Tübingen, Oberarzt der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (UKPP)

Prof. Dr. rer. soc. Inga Krauß
Leiterin AG Biomechanik/Trainingswissenschaft der Abt. Sportmedizin, Medizinische Klinik V, Universitätsklinikum Tübingen

PD Dr. med. Julian Hellmann-Regen
Ärztliche Leitung Gedächtnissprechstunde und Zentrum für Demenzprävention, Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Benjamin Franklin (CBF), Charité – Universitätsmedizin Berlin

Dr. rer. medic. Heidemarie Haller
Forschungsleitung, Zentrum für Naturheilkunde und Planetare Gesundheit, Universitätsklinikum Essen

Prof. Dr. Gustav Dobos 
Direktor, Zentrum für Naturheilkunde und Planetare Gesundheit, Universitätsklinikum Essen

Univ.-Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz 
Direktor, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen

Dr. Iris Trender-Gerhard
Leiterin Bereich Kognition/Gedächtnissprechstunde, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen

Die Carstens-Stiftung

Die gemeinnützige Karl und Veronica Carstens-Stiftung wurde 1981 vom damaligen Bundespräsidenten und seiner Ehefrau gegründet. 40 Jahre nach ihrer Gründung ist die Carstens-Stiftung eine bedeutende Wissenschaftsorganisation auf dem Gebiet der Naturheilkunde und Komplementärmedizin und hat mit einer Fördersumme von 40 Millionen Euro über 300 Forschungsprojekte unterstützt. Sie setzt sich für die Verankerung von Naturheilkunde und Komplementärmedizin in der medizinischen Forschung und Patientenversorgung ein. Hauptaufgaben sind die Förderung wissenschaftlicher Forschung und des medizinischen Nachwuchses sowie die fundierte Aufklärung über Anwendung und Nutzen naturheilkundlicher und komplementärmedizinischer Verfahren.

Erfahrung für eine Medizin der Zukunft
Ein Streifzug durch vier Jahrzehnte Forschungsförderung

Michèl Gehrke, M.A.
Michèl Gehrke, M.A.

Pressesprecher

Telefon: 0201 56 305 61